Der Kinder wegen zusammen bleiben

Unsere Absichten waren gut, als wir uns auf unseren Partner eingelassen haben. Bis ans Lebensende wollten wir an seiner Seite verbringen. Gemeinsame Kinder haben wir in die Welt gesetzt, vielleicht ein Haus gekauft oder gebaut. Voller Sehnsucht haben wir kaum eine Minute ohne unseren Partner verbringen wollen. Wenn wir in seiner Nähe waren, haben wir uns geborgen gefühlt, hatten Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch.

Symbolbild Der Kinder wegen zusammen bleiben© Bildagentur PantherMedia pat138241

Symbolbild Der Kinder wegen zusammen bleiben© Bildagentur PantherMedia pat138241

Die Schmetterlinge sind schon lange verflogen und wir haben uns eingeredet, dass das der normale Lauf der Dinge sei. Die anfängliche Verliebtheit wandele sich eines Tages in Liebe und Liebe manchmal in eine Art Freundschaft, sagen wir uns. Was gebe es Schöneres, als in unserem Partner einen guten Freund gefunden zu haben?!?

Meinungsverschiedenheiten und Streitereien gehören zum Alltag eines jeden Paares, wollen wir glauben. Den perfekten Partner würden wir ohnehin nie finden und Gewohnheit werde auch in einer neuen Beziehung früher oder später einkehren.

Inhaltsverzeichnis

Gehen oder bleiben?

Für einen Moment verharren wir, geben uns zufrieden mit der eigentlich äußerst unbefriedigenden Beziehung. Bis wir uns immer schlechter und unwohler fühlen, uns unser Partner mehr nervt, als dass er uns bereichert und uns immer häufiger ernste Zweifel überkommen. Unser Gedankenkarussell dreht sich im Kreis: Gehen oder bleiben?

Das Gefühl sagt, dass es so nicht weitergehen kann. Der Verstand appelliert zum Bleiben. Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach und überhaupt haben wir uns diese Suppe ja selbst eingebrockt.

Warum bleiben wir lieber in einer kaputten Partnerschaft, als diese zu beenden? Gründe dafür gibt es zahlreiche: finanzielle Abhängigkeit, Angst vor dem Alleinsein, vor den Reaktionen der Außenwelt, Verwechslung von Liebe mit Gewohnheit, Schuldgefühle und nicht zuletzt DER KINDER WEGEN.

Wenn die Vorstellung der Bilderbuchfamilie zerbricht

In dem Moment, in dem wir uns für ein gemeinsames Kind oder mehrere gemeinsame Kinder entschieden haben, hatten wir die Vorstellung einer Bilderbuchfamilie im Kopf. Wir wollten unseren Kindern eine heile Kindheit bieten und vielleicht auch einiges anders oder besser machen, als unsere eigenen Eltern. Dann sind wir aufgewacht, in der Realität und haben bemerkt, dass alles anders gekommen ist, als es in unserer Vorstellung aussah. Zwischen schlaflosen Nächten, Windeln und Hausaufgaben haben wir uns als Paar aus den Augen verloren.

Und als Eltern sind wir uns längst nicht immer einig. Wer übernimmt welche Pflichten und wie kann es sein, dass wir uns in Erziehungsfragen ständig in die Wolle kriegen? Wir erwarten und erwarten und weder wir selbst, noch unser Partner kann diese Erwartungen erfüllen. Wir werden unzufrieden.

Wir sehnen uns nach mehr Freiheit, Verständnis, Anerkennung, nach einer harmonischen Beziehung und manchmal auch nach einem Leben ohne diesen ganzen Familienstress, der mit der Vorstellung der Bilderbuchfamilie ja mal so gar nichts gemein hat.

Warum sind wir noch mit unserem Partner zusammen?

Wir kommen an den Punkt, an dem wir uns die Frage stellen: Warum sind wir eigentlich noch mit unserem Partner zusammen? Wir erkennen, dass wir die Antwort darauf selbst nicht genau wissen und wir beginnen uns selbst Vorwürfe zu machen. Wir haben die Nummer mit der Bilderbuchfamilie einfach nicht geschafft, wir haben „versagt“.

Vor dieser Einsicht wollen wir am liebsten die Augen verschließen, weglaufen oder wir beginnen, die Schuld allein beim Partner zu suchen, um uns selbst zu entlasten. Unsere Gefühle vermischen sich. Unzufriedenheit, Wut, Trauer, Verzweiflung und Angst werden zu einer zähen Masse, die uns wie Kaugummi mit jedem Schritt weiter zu Boden zieht, bis wir schließlich stehen bleiben.

Vielleicht versuchen wir an dieser Stelle mit aller Gewalt, etwas zu ändern. Die eigenen Macken, die des Partners oder das ganze Miteinander. Wir vertrauen uns Freunden und Verwandten an, vielleicht einer Eheberatungsstelle. Wir ziehen in den Kampf und verlieren darunter nicht selten uns selbst.

Lügen, um Stress zu vermeiden

Plötzlich fällt es uns nicht mehr so leicht, wie früher, gewissen Versuchungen zu widerstehen. Wir belügen unseren Partner schon bei belanglosen Dingen, nur um Stress vorzubeugen. Und manchmal verstricken wir uns in einer riesigeren Lüge, einem Vertrauensbruch, einem Seitensprung. Wir holen uns bei einem anderen Menschen das, was uns in unserer Beziehung fehlt. Wir polieren unser Ego, befriedigen unsere Triebe und entfernen uns dadurch noch weiter von unserem Partner. Doch noch immer hadern wir und schieben eine Trennung vor uns her. Auch wenn wir selbst der belogene oder gar betrogene Part sind, halten wir fest an dem Scherbenhaufen unserer Beziehung und versuchen zu kitten, was noch vorhanden ist.

Angst vor den Konsequenzen eines Neuanfangs

Die ursprünglichen Pläne zu ändern, einen Neuanfang zu wagen und die damit verbundenen Konsequenzen zu tragen, traut sich längst nicht jeder. Viele Paare bleiben jahrelang in einer unglücklichen Beziehung. Ihre Elternrolle schieben sie als Grund dafür vor.

„Der Kinder wegen“ wollen sie zusammenhalten, es noch einmal versuchen. Was im ersten Moment selbstlos klingt, ist am Ende purer Egoismus. Denn Kinder – mit ihren feinen Antennen – spüren, wenn ihre Eltern unglücklich sind.

Sie bekommen Konflikte mit, auch wenn die Eltern sich Mühe geben, nicht in Gegenwart der Kinder zu streiten. Kinder bekommen ein Rollenbild vorgelebt, eine Art von Beziehung, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit später selbst (unbewusst) leben werden.

Zahlreiche Studien belegen, dass Kinder nach einer Trennung und einer durchgestandenen Trauerphase auf Dauer wesentlich entspannter und glücklicher sind, als Kinder, die in zerrütteten Verhältnissen aufwachsen.

Eine Pro- und Kontra-Liste aufstellen

Viele Paare, die zwischen „gehen und bleiben“ stehen, die zweifeln und nicht wissen, welche Entscheidung die richtige ist, versuchen abzuwägen. Sie erstellen (gedanklich oder buchstäblich) eine Pro-und-Kontra-Liste. Welche Punkte sprechen für den Erhalt der Beziehung und welche für eine Trennung?

Die negativen Aspekte diktieren uns den Ausstieg, während die positiven Punkte ans Gewissen appellieren und die Frage aufwerfen, ob die eigene Erwartungshaltung zu hoch und eigentlich doch alles ganz wunderbar oder zumindest ausreichend ist.

Die Psychotherapeutin und Autorin von „Soll ich gehen, soll ich bleiben?“, Mira Kirshenbaum, rät davon ab, eine solche Abwägstrategie zu verwenden. Stattdessen sollte man, ihrer Ansicht nach, eine diagnostische Sichtweise einnehmen.

In ihrem Buch stellt Kirshenbaum 36 Fragen, die jeder beantworten sollte, der an seiner Beziehung zweifelt. Am Ende zählt nicht, wie viele dieser Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet wurden. Jedes einzelne „Nein“ wäre bereits ein Grund für eine Trennung oder zumindest ein Grund, die Partnerschaft infrage zu stellen, so Kirshenbaum.

Nach jeder Frage geht Kirshenbaum in ihrem Buch auf mehreren Seiten auf die Antwortmöglichkeiten und deren Bedeutsamkeit ein. Wer mehr darüber erfahren möchte, sollte sich dieses Buch besorgen. Einen kleinen Ausschnitt gibt es im Folgenden.

Hier zehn, der 36 Fragen:

1. Wenn jeder, der Dir wichtig ist – Gott, Deine Eltern, Kinder, Freunde – ihre Erlaubnis geben würden, Dich zu trennen, würdest Du trotzdem bei Deinem Partner bleiben?

Die schlechtesten Gründe um zusammenzubleiben sind Angst und Gewissensbisse, wie das Umfeld reagieren könnte. Selbst wenn einzig der Glaube der Grund sein sollte, warum man noch zusammen ist, dann ist die Beziehung, längst tot. Man sollte sich von Dogmen und selbstquälerischen Einstellungen befreien und das Glück sehen.

2. Werden Deine Bedürfnisse in der Beziehung erfüllt, ohne dass Du dafür kämpfen musst?

Wenn es Anstrengung bereitet und es immer wiederkehrende Diskussionen gibt, damit die eigenen Bedürfnisse befriedigt werden und Du Dich als Mensch wirklich wahrgenommen und wertgeschätzt fühlst, investierst du auf Dauer Energie, die du in eine neue Partnerschaft investieren könntest. Du bist wichtig, das solltest du in deiner Beziehung spüren. Tust du das nicht – geh lieber.

3. Magst Du Deinen Partner wirklich gern, magst Du ihn als Mensch und er Dich?

Wenn man sich nicht wirklich mag und schätzt, dann gehört man nicht zusammen. Wenn Du Dir Deinen Partner nicht als besten Freund vorstellen kannst, warum dann als Partner?

4. Respektierst Du Deinen Partner und er Dich als Individuum?

Wahrt er Deine persönlichen Grenzen, gibt er Dir Freiraum Dich weiter zu entwickeln, lässt er Dich einzigartig sein, wie Du bist? Wenn nicht, kannst du in dieser Beziehung nicht du selbst bleiben.

5. Fühlst Du Dich von Deinem Partner sexuell angezogen?

Ist der Funke erloschen, gibt es keinen Grund zu bleiben. Sex ist für eine Beziehung existenziell, erzeugt Nähe, setzt Bindungshormone frei und sorgt für ein gefühlvolles Miteinander.

6. Siehst Du Dich selbst, wenn Du in die Augen Deines Partners schaust?

Das mag etwas metaphorisch formuliert sein. Doch wenn man sich in dem Anderen nicht wiederfinden kann, dann ist man mit einem anderen Partner oder allein wirklich besser dran.

7. Verhält sich Dein Partner so, dass Du gut damit leben kannst und auch mal ein Auge zudrücken kannst?

Wenn kein gegenseitiger Respekt vorhanden ist, Du für Dich inakzeptable Verhaltensmuster einfach herunterschluckst, zerstört es nicht nur Eure Partnerschaft sondern auch Dein Selbstwertgefühl. Wenn Dein Partner zum Beispiel fremd geht und Du glaubst, Du hast es nicht anders verdient, dann ist das bereits geschehen. Höchste Zeit sich zu trennen.

8. Habt Ihr noch Spaß zusammen, könnt Ihr zusammen lachen und herumalbern?

Wenn der Partner nur wenig tut, um Dein Leben zu bereichern und Du spürst, dass Du nichts verlierst, wenn Du gehst, dann wird es auch hier Zeit. Du wirst Dein Leben wieder ins Gleichgewicht bringen und mehr erreichen, wenn Du allein bist.

9. Kannst Du Deinem Partner vergeben und er Dir?

Denk daran: keiner von uns ist perfekt. Wenn man seinem Partner nicht aufrichtig vergeben kann, erweitert sich die Kluft zwischen Euch. Du wirst Dich dann in Deiner Beziehung einsamer fühlen als Single.

10. Haben Du und Dein Partner gemeinsame Ziele und Träume?

Wer keine gemeinsame Zukunft mehr sieht, der braucht auch keine gemeinsame Gegenwart. Das ist verlorene, wertvolle Zeit, die so nicht wiederkommt.

Eine Beziehung sollte immer eine Bereicherung für das eigene Leben darstellen und dem persönlichen Glück nicht im Wege stehen. Mira Kirshenbaum ist der Überzeugung, dass man lieber eine Trennung mit einer schmerzhaften Scheidung und komplizierten Sorgerechtsfragen in Kauf nehmen sollte, als in einer aussichtslosen Beziehung zu verharren. Danach wäre man wieder frei für ein neues Glück, welches in der gegenwärtigen Beziehung wahrscheinlich für immer verhindert würde.

Eine Trennung birgt einige Risiken

Wer vorschnell die Flinte ins Korn wirft, bereut seine Entscheidung vielleicht eines Tages und dann gibt es womöglich kein Zurück mehr. Deshalb sollte dieser Schritt gut überdacht werden. Geht es mir gut mit meinem Partner und geht es meinem Partner gut mit mir? Sind meine Erwartungen und Wünsche zu hoch?

Auf was kann ich verzichten, was ist für mich hingegen unverzichtbar? Wie steht mein Partner dazu und welche Wünsche hat er an mich? Kann und will ich diese erfüllen? Wer spürt (oder nach der Beantwortung der Fragen erkannt hat), dass er aus den falschen Gründen in seiner Beziehung feststeckt, sollte sich daraus lösen und gehen. Wir haben nur dieses eine Leben und es ist zu kurz, um es mit warten, hoffen, aushalten und kämpfen zu verbringen…

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